Die Freie Kindertagestätte Schneckenhaus besteht in Offenburg seit 1984 als ausschließlich von Eltern getragene Einrichtung. Sie erweitert die Vielfalt der Angebote der Kinderbetreuung in Offenburg. Hervorzuheben sind ein hohes freiwilliges Engagement der Eltern für ihre Kinder, sowie eine hohe Bereitschaft, kindorientierte Pädagogik einzufordern und in die Praxis umzusetzen.
Kinder lernen Kulturtechniken
Im Schneckenhaus wird geschrieben, gezählt und gerechnet. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen, um zu sehen, wie Mathematik und Deutsch - ganz ohne Unterricht - bei den Kindern Einzug halten.
„Wann kommt der Bus?" will Akif wissen. „Um 10:33 Uhr." Akin hilft Akif die Uhr zu lesen. Daneben sitzen drei Mädchen und zählen einen Countdown. Immer wieder von 10 abwärts. Dann auf 20 hoch.
Angesichts dessen, was die Kinder jeden Tag an Beispielen für ihr Können geben, ist es eher seltsam, dass in der 1. Klasse oft nur der Zahlenraum bis 20 abgehandelt wird. Doch die Kinder können noch mehr als das. Beim Abzählen vor dem Ausflug haben Joshua und Yannis bemerkt, dass die Erwachsenen anders zählen, nämlich 2,4,6,8,.. anstatt 1,2,3... Die Beiden zählen auch so und haben schon die Zweierreihe geübt.
Beispiele wie diese gibt es zuhauf, ob beim Essen teilen (Bruchrechnen, Division) oder beim Werken (Rechnen, Geometrie). Die Kinder profitieren vom Austausch mit anderen (Ideenwanderung per Spiegelneuronen!) oder entwickeln eigene Konzepte. Dabei kann man sie unterstützen, indem man mathematische Vorgänge transparent macht und benennt: Einfach alles, was man sonst kurz im Kopf ausrechnet, laut sagen. Das geht beim Kochen, Einkaufen, Teilen... Dadurch können die Kinder auch die Zusammenhänge besser nachvollziehen, warum da jetzt wieviel Mehl drin landet.
Da Mathematik im Gehirn eng an sprachliche Vorgänge geknüpft ist, ergibt sich eine prima Mischung.
Im Bereich Sprache kann man gerade beim Schreiben Interessantes beobachten: Vom „So-tun-als-ob"-Schreiben bis hin zur Erwachsenen-Rechtschreibung gibt es eine Menge spannender Schritte. Lina kann schon alle Buchstaben, allerdings als Buchstaben, nicht als Laute (also z.B. „zett" anstatt „ts"). Leni will, dass ich ihr „Jan" vorschreibe. Mit viel Fantasie malt sie die Buchstaben ab. Manche Kinder erkennen Buchstaben aus ihren Namen wieder. Manchen Kindern ist die Reihenfolge der Zeichen noch nicht so wichtig. Aaron kennzeichnet seinen Turm mit „Aarno", Akif ändert kurzerhand die Schreibrichtung seines Namens.
Dadurch können auch wir Erwachsenen uns immer wieder daran erinnern lassen, dass alle unsere Sprachregeln nichts als Vereinbarungen sind. Und um die richtig praktisch finden zu können, muss man schon mehr an die Gruppe als an sich selber denken können.
Aber zurück zu den Schreib-Experimenten der Kinder. Spannenderweise läuft der Schrifterwerb der meisten Kinder so ab, wie auch die Menschheit das Schreiben gelernt hat. Zuerst schreiben sie in der Skelettschrift, wie schon die Ägypter mit ihren Hieroglyphen. Dabei werden einige oder alle Vokale einfach weggelassen, aus dem Traktor wird ein Trktr. Manchmal fallen auch Konsonanten weg. Vor dieser Phase schreiben manche Kinder schon Worte ab, und davor liegt die Phase des „so-tun-als-ob".
Bevor sich die Kinder aber an der offiziellen Rechtschreibung orientieren, machen sie sich ihre eigenen Gedanken, wie man ein Wort schreiben könnte. Im Südbadischen schreiben die Kinder dann häufig ein „r" anstatt eines „ch", weil das „r" hier oft kehlig ausgesprochen wird. („Der isch kchank.") Mit diesen, eigenen Rechtschreibstrategien hat sich übrigens auch schon Goethe beholfen, der würde heute mit seinem Werther wohl nur eine 5 wegen der „filen feler" bekommen.
Man kann also sehen: Die Kinder können schon so einiges und machen sich darüber auch viele Gedanken. Wichtig ist nur auch zu wissen, dass alle Kinder ihrem jeweils eigenen Rhythmus folgen. Während die einen alle Phasen im durchschnittlichen Rahmen durchleben, gibt es andere, die brauchen länger, kürzer, manche, die Phasen auslassen oder Kinder, die wieder in frühere Phasen zurückfallen usw. Es kann eben keine Norm Menschen als Individuen gerecht werden.